Die neue Speerspitze von McDonnell Douglas

MD-95-Modell/Courtesy: McDonnell Douglas
MD-95-Modell/Courtesy: McDonnell Douglas

McDonnell Douglas wollte mit ihrer MD-95 eine neue Speerspitze in dem umkämpften Markt der 100sitzer konzipieren. Die MD-95-30 sollte nicht nur ein neuer 100-Sitzer sein, sondern die Basis einer ganzen Familie von neuen Twinjets in der Klasse der 80 bis 130-Sitzer darstellen. So wie Boeing mit ihrer "Next-Generation" ihres überaus erfolgreichen Modells Boeing 737, so hoffte und war auch McDonnell Douglas aufgrund ihrer hart erworbenen Erfahrung mit ihrer DC-9 und MD-80 in den letzten 30 Jahren davon überzeugt, mit der MD-95 wieder an den Erfolg vergangener Zeiten anknüpfen zu können.

Keine "aufgewärmte" DC-9

Es war aber McDonnell Douglas auch schon sehr früh bewußt, daß sie den potentiellen (als Kunden in Betracht kommenden) Luftverkehrsgesellschaften deutlich machen musste, daß die MD-95 nicht nur eine "aufgewärmte" DC-9 ist. Diese Gratwanderung wurde und wird als schwierig eingeschätzt, da positive Aspekte der DC-9 (und MD-80) sich überaus positiv in der Gesamtheit des Designs der Boeing 717 auswirken und es somit fahrlässig wäre, würde man nicht aus dieser Tatsache auch einen Vorteil sehen. Auch Luftverkehrslinien sagten, daß es ja grundsätzlich nicht schlecht ist, da die  DC-9/MD-80 sich überaus bewähren, dennoch eine Weiterentwicklung und Anpassung an neue Anforderungen in das Design der MD-95 einfließen müssten. Als im Mai 1997 mit dem Bau der ersten MD-95 begonnen wurde, war es fast genau 30 Jahre her, als das in den Abmessungen ziemlich exakte Modell DC-9-40 seinerzeit ihre Konturen annahm.

 

Logischerweise liegt der Hauptunterschied gegenüber allen Vorgängern der MD-95 in dem völlig neuem (BMW) Rolls-Royce BR715-Antrieb. Die Tatsache, daß sich das MD-95/Boeing 717-Programm um ein paar Jahre verzögerte, zahlte sich somit bei der Auswahl des Antriebs aus, denn das BR715 war Anfang der 90er Jahre nicht so weit in der Entwicklung, daß McDonnell Douglas sich für eine Exklusivvereinbarung als Antrieb für ihre MD-95 sicher sein konnte. Das BR715 wurde gegenüber den alternativen "Rolls-Royce Tay" (u.a. Antrieb der Fokker 70/100) und "Pratt & Whitney JT8D-218" gewählt und sollte die geforderten Leistungsdaten für die MD-95 auch erfüllen. Auf frühen Zeichnungen der MD-95 sieht man aber noch die Form der JT8D-200-Triebwerke.

 

Es wurde sehr viel Wert auf Umweltverträglichkeit und Effizienz gelegt. Neben einem noch weiter verringerten Ausstoß an Schadstoffen, sollte das BR715 um ca. 4dB unter den geplanten Chapter 4-Grenzwerten liegen. Die neuen Triebwerke waren aber deutlich schwerer als frühere Hecktriebwerke der DC-9 und so plante McDonnell Douglas als Ausgleich für die Hecklastigkeit, im vorderem Bereich Ballast ein.

Mit der Fokker 130 wollte Fokker in den Bereich der 120-140-Sitzer eindringen/Courtesy: Fokker
Mit der Fokker 130 wollte Fokker in den Bereich der 120-140-Sitzer eindringen/Courtesy: Fokker

Gespräche mit SAS

In Gesprächen mit Scandinavian Airlines System (SAS) und später mit der ValuJet Airlines entschied sich glücklicherweise der Hersteller für eine erhebliche bessere und wirtschaftlichere Lösung, indem der MD-95-Rumpf um insgesamt ca. 1 m vor den Tragflächen gestreckt wurde. Dadurch wurde der Ballast überflüssig. In reiner Touristclass-Bestuhlung sollte die MD-95 insgesamt 117 Passagiere bei einem Sitzplatzabstand von 78 bis 80 cm komfortabel Platz bieten. Die maximale Bestuhlung stieg in diesem Stadium auf 122 Sitzplätze. Die Rumpfstreckung veränderte die Aerodynamik und so entschied sich McDonnell Douglas, daß von der MD-87 übernommene Leitwerk noch um 50 mm über dem Höhenleitwerk zu erhöhen. Damit behält die MD-95 auch weiterhin die gewünschten Eigenschaften im Bezug auf Flugstabilität. Das Leergewicht der MD-95 wurde mit sehr viel Vorsicht den optimalen Anforderungen an das Einsatzprofil  (Reichweite/Nutzlast) eines 100sitzers angepasst. Es wurde sehr viel Wert auf ein niedriges Leergewicht gelegt. Unter diesen Aspekten bezeichnete McDonnell Douglas die ansonsten sehr wirtschaftliche  Fokker 100 (25500 kg Leergewicht) als zu unterpowert und zu leistungsschwach. Dagegen seien die B737-600 (36400 Kg Leergewicht) und A319 (40400 Kg) viel zu schwer. Die Airbus A318 war offiziell zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Planung und wurde erst Jahre später als Antwort auf die Boeing 717 entwickelt, ist aber mit 39470 Kg Leergewicht auch sehr schwer. Die Boeing 737-600 und Airbus A319 (und auch die jetzt zusätzlich angebotene, noch weiter verkürzte A318) bieten dafür natürlich eine erheblich größere Reichweite; eine Tatsache, die McDonnell Douglas nicht sehr erstrebenswert für den typischen Einsatz eines 100sitzers sah und dieser Einstellung kann ich mich hier nur anschließen. Werden wirklich massenhaft 100sitzer auf 5000 Km-Flügen eingesetzt? Auf einem 950 Km Flug würde die MD-95 4,3 % günstiger im Betrieb sein als die Fokker 100, 6,3 % unter den Betriebskosten einer B737-600 liegen und sogar 11,6 % unter den Kosten einer A319 (man möge sich ausdenken, wie es dann aktuell mit der A318 bestellt ist, da die B717 im Einsatz noch wirtschaftlicher abschnitt als vorhergesagt...).Unterdessen hatten zuvor Fokker über eine verlängerte Fokker 100 nachgedacht, aber in der fraglichen Zeitphase waren Fokker finanziell nicht in der Lage, eine Fokker 130 zu entwickeln.

SAS entscheidet sich für die Boeing 737-600

SAS wurde Erstkunde der Boeing 737-600/Courtesy: Boeing
SAS wurde Erstkunde der Boeing 737-600/Courtesy: Boeing

Im Frühjahr 1995 erwartete die Fachwelt, daß SAS ihre Absicht für einen Kauf in eine gute Tat umsetzen und 35 MD-95-30 bestellen würde. Wie ein Schlag ins Gesicht (auch und gerade für McDonnell Douglas) trat aber MD-Traditionskunde SAS - als einer der "Geburtshelfer" der MD-95 - als Erstkunde der Boeing 737-600 auf! Sprecher der SAS bezeichneten die MD-95 als "Papierflieger" und es wurde auch angezweifelt, ob "McDonnell Douglas es überhaupt ernst mit dem Bau von Zivilflugzeugen meint". McDonnell Douglas war sehr enttäuscht und nicht nur der Hersteller sah diesen Coup von Boeing als ziemlich heftigen Versuch, bei einem traditionellen Douglas-Kunden, die Boeing 737 zu einem Sonderpreis zu verkaufen und gleichzeitig den Markteinstieg der MD-95 zu verhindern oder hinauszuzögern und moralisch den Mitarbeitern von McDonnell Douglas zu schädigen. Die Mitarbeiter von McDonnell Douglas waren sowieso immer darauf gefasst, daß ihr Arbeitsplatz gestrichen wird, da der Hersteller im Zivilsektor immer weniger Aufträge erhielten. Die Mitarbeiterzahl schrumpfte besonders Anfang der 1990er Jahre dramatisch. Falls ich nicht falsch informiert bin, musste McDonnell Douglas alleine 1991 insgesamt 65000 (!) Mitarbeiter auf einmal entlassen, da sonst die Zahlungsunfähigkeit drohte. Somit waren dringend (ausnahmsweise) auch mal gute Nachrichten notwendig. Es hatte wirklich den Eindruck, daß die zivile Sparte von McDonnell Douglas Haltung bewahren wollte, aber objektiv waren MD-Flugzeuge auf dem Abstellgleis geraten. Alleine die Äußerung führender Manager von McDonnell Douglas, daß "sich vielleicht noch einige Fluglinien für unsere Produkte entscheiden, wenn die Produktion der A320 und B737 zu sehr ausgelastet und keine Lieferpositionen mehr frei sind", sind ein indirektes oder direktes Eingeständnis, daß man das Selbstvertrauen in dieser Hinsicht verloren hatte und nicht vor der Vergangenheit den Hut nahm und für die Zukunft die Jacke auszog. Im Sommer 1995 hörte man nichts mehr von der MD-95 und es wurde wieder sehr still um den Hersteller.

Gespräche mit ValuJet

Im Spätsommer 1995 berichtete dann u.a. die (in der Regel überaus seriös und gut informierte) "Flight International", daß ValuJet Airlines ihre "Zusage" für 25 A319 zurückgenommen hat und die Hersteller (Boeing, Airbus, Fokker und McDonnell Douglas) noch einmal mit ihren Angeboten antreten können. ValuJet bezweifelte nämlich, daß die A319 in gewünschter Konfiguration mit 134 Sitzplätzen, wirtschaftlich genug einsetzbar wäre und verwies darauf, daß mit 50 verkauften Sitzplätzen, die damals mit 113 Sitzplätzen eingesetzten DC-9-32 schon die Gewinnschwelle erreichten. Boeing sah somit sehr gute Chancen mit ihrer Boeing 737-600, Airbus bot weiterhin ihre A319 an, Fokker soll fünfzig Fokker 100 angeboten haben. McDonnell Douglas erschien eher als fünftes Rad am Wagen und hielt sich sehr zurück. So bestätigte der Hersteller, daß "man versuche, der ValuJet die MD-95 schmackhaft zu machen, die MD-95 aber eventuell nicht in den Zeitrahmen von ValuJet passen würde". Darum bestätigte McDonnell Douglas, daß man ValuJet im Falle einer Zusage "beim Kauf gebrauchter DC-9 und MD-80 helfen würde" und auch als Interimslösung "fabrikneue MD-87 ausschließlich für ValuJet herstellen würde". Industrieweit wurde McDonnell Douglas relativ wenig Chancen eingeräumt, obwohl ValuJet ein DC-9-Betreiber war. ValuJet äußerte sich nur soweit, daß das Rennen wieder offen ist. Am 19.11.1995 wurde dann von McDonnell Douglas und ValuJet Airlines gemeinsam die lang ersehnte und eher unerwartete Bestellung für MD-95 verkündet!

Erstkunde gefunden!

ValuJet MD-95-Modell/Courtesy: McDonnell Douglas
ValuJet MD-95-Modell/Courtesy: McDonnell Douglas

50 MD-95-30 wurden fest bestellt und 50 Optionen vereinbart. Der Hersteller garantierte, daß die MD-95 13 % niedrigere Betriebskosten als eine DC-9-30 aufweisen werde. Am gleichen Tag gaben ValuJet noch den Kauf weiterer DC-9 und erstmals MD-80 bekannt und verwies auf die sehr hohe Sitzplatzauslastung ihrer Flüge. Für BMW Rolls-Royce war es auch ein denkwürdiger Tag, da bei diesem Auftrag auch 110 BR715 bestellt wurden. Es ist auch auf ValuJet zurückzuführen, daß jetzt die Rumpfstreckung um weitere 45 cm erhöht wurde, so daß die MD-95-30 (die spätere Boeing 717-200) eine Verlängerung um 1,45 m auf jetzt 37,81 m erfuhr. Dadurch konnte die maximale Sitzplatzkapazität auf 129 Passagiere erhöht werden und ValuJet sah auch den Einsatz ihrer MD-95 mit maximaler Bestuhlung vor. McDonnell Douglas gab aber zu verstehen, daß es dann in den MD-95 "etwas eng" zugehen würde. Es scheint so zu sein, daß McDonnell Douglas wieder sehr auf einen Kunden eingegangen war - diese Eigenschaft hatte der Hersteller oft gezeigt und ist - so seltsam es klingen mag - möglicherweise auch mit ein Faktor am Niedergang der zivilen Sparte gewesen. Die Mitarbeiter in Long Beach atmeten auf. Es wurden weitere Details bekannt. Die MD-95 wurde für Bodenzeiten von 20-25 Min zwischen zwei Flügen konzipiert. 23 Min werden als Ziel genannt. Durch eine (optionale) Hecktreppe sollte die Abfertigung um weitere vier Minuten beschleunigt werden. Kein Kunde bestellte letztlich die Boeing 717 mit Hecktreppe. Das Cockpit der MD-95 sollte eine sehr hohe Baugleichheit mit der MD-90 aufweisen. Weitere Veränderungen bezogen sich auf ein neues, leiseres APU mit verändertem Luftaustritt. Das Kabinendesign wurde gegenüber der MD-90 völlig neu gestaltet. Die in Österreich ansässige Firma "Fischer Advanced Composites" war und ist für das neue Interieur zuständig und hier wird durch neue Gepäckfächer pro Passagier 0,7 m³ Platz für Handgepäck geboten. Das Kabinendesign sollte sehr ansprechend und die Kabine angenehm leise sein. Im Windkanal wurde das nun eingefrorene Design der MD-95 getestet.

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