Zurück zur Ebene "Verkaufserfolg der Boeing 717"
Es wäre eine verzerrte Darstellung, die Marktakzeptanz der Boeing 717 in Europa als Erfolg einzustufen. Ganze vier Unternehmen setzten bzw. setzen diesen Flugzeugtyp in Europa ein.
Je nach Sichtweise ist es erstaunlich, dass die MD-95/Boeing 717 in Europa keinen einzigen Douglas DC-9-Betreiber als Kunden gewinnen konnte. Hier seien die traditionellen Nutzer wie zum Beispiel Adria Airways, Alitalia, Aviaco, British Midland, Finnair, Iberia und SAS genannt.
Auch beim damals großen europäischen Kundenstamm der MD-80-Nutzer konnte kein Erfolg erzielt werden. Einzige Ausnahme mag der Platzierungserfolg von Boeing 717 bei AeBal/Spanair Link und Spanair sein, da hier zumindest mit der Spanair ein MD-80-Betreiber zum Kundenkreis der 717 avancierte. In der ersten Hälfte der 1990er wurden zwar Alitalia und SAS als mögliche Kunden genannt, aber bekanntlich entschieden sich SAS für die damals als Konkurrenzprodukt eingestufte Boeing 737-600, während Alitalia Mitte der 1990er ihre verbliebenen DC-9-32 mit Lieferung von MD-82, A321 und Fokker 70 der Avianova ersetzten.
Finnair überlegten offiziell eine Aufrüstung und den Weiterbetrieb ihrer DC-9-50-Flotte, gekoppelt an den damals geplanten und größtenteils erfolgten Ausbau ihrer MD-80-Flotte. Die technische Abteilung (oder eher leitende Angestellte der Wartungsabteilung) von Finnair befürwortete die Möglichkeit einer Aufrüstung der DC-9-Flotte für den Weiterbetrieb, u.a. aufgrund der "qualitativ hervorragenden Struktur der DC-9".
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass eine Modernisierung und der Weiterbetrieb von DC-9 namentlich in den Jahren 1992-93 mit Air Canada, British Midland, Finnair, Iberia, JAT, Northwest Airlines, SAS und USAir publik wurden. Alle Unternehmen sahen „keine Probleme, ihre DC-9 mindestens weitere fünfzehn Jahre einzusetzen“. Einzig Northwest Airlines setzten tatsächlich ein umfassendes Modernisierungsprogramm um, während bei Air Canada, Finnair, Iberia (teilweise), JAT und SAS in abgestufter Form ebenfalls Modifikationen umgesetzt wurden, die zumeist die Nachrüstung mit neuen Schalldämpfern (Hushkits) vorsah.
Das Interesse an einer modernisierten DC-9 – der „DC-9-X“ - schwand aber in Europa und nach vorliegenden Unterlagen änderte zuletzt Finnair ihre Meinung, da man in Europa „alleine dieses Programm hätte umsetzen müssen“. Hier zeigt sich, wie stark sich die Marktumstände und auch Sichtweisen innerhalb einer kurzen Zeit änderten, denn nur wenige Jahre später würde die MD-80-Serie in der Massen-Fachpresse als spritschluckendes und lautes Modell beschrieben werden und dies – obwohl die Douglas DC-9 weiterhin gewinnbringend eingesetzt werden konnte und gegenüber der MD-80 logischerweise teilweise deutlich höhere Kosten pro Sitzplatz erzeugte.
Das DC-9-X-Programm hat möglicherweise rückblickend einen negativen Effekt auf die Vermarktung der MD-95 gehabt. Die Loyalität und Zufriedenheit der Mehrheit von europäischen DC-9-Betreibern stand der erheblich leiseren, wirtschaftlicheren und moderneren MD-95 gegenüber.
Da die MD-90 in Europa kein Erfolg beschert war, so kann allerhöchstens der Wechsel bzw. Austausch der MD-90-Flotte bei Blue1 durch Boeing 717 als flottenstruktureller Übergang eingestuft werden. Neben Blue1 existiert aktuell (Februar 2012) nur noch ein zweiter Nutzer in Europa mit der Boeing 717 im Zusammenhang: Volotea Airlines aus Spanien.
Es gab mehrere Verkaufskampagnen und eine Boeing 717-Europatour. Auf dieser Tour wurde die Boeing 717 u.a. in Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien und Spanien vorgestellt. Diese Tour war tatsächlich nicht gänzlich umsonst, denn in Spanien entschieden sich AeBal für die Boeing 717 und in Großbritannien erzeugte dieser Flugzeugtyp bei British Airways so großes Interesse, dass tatsächlich eine potentielle Bestellung für bis zu 40 Flugzeuge möglich erschien. Bekanntlich entschieden sich British Airways (damals) für die A318, die dann in solche für weitere A319 umgewandelt wurden. Ein Platzierungserfolg bei British Airways wäre – auch hier wie immer rückblickend – ein sensationeller Erfolg gewesen, da British Airways ein renommiertes Unternehmen mit Weltruf war und ist.
Auch der Lufthansa wurde die Boeing 717 präsentiert. Mir liegen sehr wenige offizielle Informationen über diese Präsentation vor. Die meisten Quellen geben an, dass Vertreter von Lufthansa in Long Beach direkt in der Fertigungsstätte die Boeing 717 begutachteten. Positiv wurde die gute Verarbeitung/Struktur und die Anordnung mit fünf Sitzplätzen pro Reihe erwähnt.
Im Winter 2004/05 setzten germanwings zwei Boeing 717 ein, die von AeBal angemietet und betrieben wurden. Diese kamen ab Köln/Bonn zum Einsatz und standen im Zusammenhang mit einer möglichen Entscheidung zugunsten der Boeing 717 für die Lufthansa-Gruppe und/oder Star Alliance-Gruppenbestellung (Air Canada, Austrian Airlines, Lufthansa, SAS).
Air Canada entschieden sich für Embraer, Austrian Airlines für gebrauchte Fokker 100, Lufthansa für Embraer und Canadair. Negativ kritisiert wurde in der deutschen Fachpresse bei dem Probeeinsatz bei germanwings die geringere Reisegeschwindigkeit der 717 gegenüber den Airbus A319.