Es ist meiner Ansicht nach nicht so einfach wie so oft zu lesen, welche Faktoren die MD-90 zu einem Flugzeug mit eher bescheidenen Verkaufserfolg werden ließ. Meinerseits fehlen mir detaillierte Kenntnisse über die Hintergründe bei McDonnell Douglas und ich möchte tendenziell mich eher nicht an den teilweise gebetsmühlenartigen negativen Kritiken an zivilen Modellen von McDonnell Douglas beteiligen. Zweifellos ist aber, dass eine Kombination von Entwicklungen dazu führten, dass die MD-90 keinen höheren Verkaufserfolg erzielen konnte und ein Faktor war sicherlich die schlichte Tatsache, dass McDonnell Douglas ab 1997 gar nicht mehr in ihrer Form existieren sollte. Noch heute (Frühsommer 2007) ist die MD-90 weiterhin das leiseste Verkehrsflugzeug ihrer Klasse. Zusammen mit der MD-95 (Boeing 717) hat McDonnell Douglas somit eines der wichtigsten Kriterien für heutige Flugzeuge mehr als erfüllt. Auch gibt es übereinstimmende Indizien, dass die MD-90 sehr effizient eingesetzt werden kann und die Verbrauchswerte einen Vergleich mit der A320 und 737-800 nicht zu scheuen brauchen. Dennoch gibt es ganz klare Fakten, die den Misserfolg der MD-90 aufzeigen. Es gibt viele Ursachen für den Misserfolg des größten Mitglieds der zweistrahligen Modelle von McDonnell Douglas und man darf annehmen, daß erst die Kombination diverser Faktoren dazu führten, daß die überaus leise und wirtschaftliche MD-90 kommerziell ein Flop wurde. Einige Analysten meinen, daß das Timing schlecht war. Die MD-90 wurde zu einer Zeit angeboten, als es der Luftfahrtindustrie nicht sehr gut ging. Falls dann eine Fluggesellschaft sich trotzdem für eine Flottenerneuerung entschloss, wurde oftmals der radikale technische Fortschritt gewählt und nicht eine mehr oder weniger überarbeitete MD-90 auf Basis der MD-80. Dann ist auch der Aspekt wichtig, daß das Vertrauen vieler (auch loyaler) Kunden in die zivile Sparte von McDonnell Douglas nicht sehr groß war.
Die MD-90 konnte nur in einer bescheidenen Anzahl an Fluggesellschaften vermittelt werden. Das Volumen ist so klein, dass es hinter der MD-87 (falls man diese Unterversion als eigene Variante heranzieht) als schlechtestes Modell in die Geschichte einging. McDonnell Douglas gelang es nur sehr begrenzt, bestehende MD-80-Betreiber für ihren MD-90-Entwurf zu begeistern und dennoch machten diese einen erheblichen Anteil an den überhaupt verkauften MD-90 aus. Delta, JAS, SAS, China Eastern und China Northern seien hier genannt, aber auch die kurzeitige Einsatzzeit der MD-90 bei Air Aruba und Reno Air. Diese Fluggesellschaften setzten/setzen zusammen 70 MD-90 ein. Recht erfolgreich war McDonnell Douglas bei taiwanesischen Fluggesellschaften, die eine relativ große Anzahl von MD-90 bestellten und abnahmen.
Nicht unerwähnt darf dann natürlich die Bestellung von Saudi Arabian Airlines für 29 MD-90 bleiben. Auf dem afrikanischen Kontinent konnten MD-90 nur bei AMC Aviation abgesetzt werden, in
Südamerika waren nur für wenige Monate MD-90 bei der Aserca im Einsatz. Auch hier konnte McDonnell Douglas in keiner Weise den Markt mit ihrem Produkt penetrieren.
Es war auch wenige Monate vor der Übernahme durch Boeing eine Tatsache, daß McDonnell Douglas offensichtlich ihr Selbstvertrauen in ihre zivilen Produkte verloren hatte. Anders kann man nur
schwer erklären, daß „man sich erhoffe, durch die prall gefüllten Auftragsbücher der 737- und A320-Familie vielleicht doch noch ein paar Fluglinien für die MD-80 und MD-90 gewinnen zu können,
weil die Airlines keine geeigneten Lieferpositionen bei Boeing und Airbus erhielten“. Alleine durch solche Äußerungen schürte man das Misstrauen der loyalen wie potentiellen Kunden noch
weiter und bestätigte die Meinung, daß McDonnell Douglas die Luft ausgehen könnte. Selbst wenn es die stille Hoffnung von McDonnell Douglas gewesen sein sollte, so war es töricht, dies öffentlich
zu sagen, da dies keineswegs den Eindruck vermittelte, dass der Hersteller weiterhin Flugzeuge von äußerst hoher qualitativer Verarbeitung lieferte und die MD-90 sowie MD-95 neue Maßstäbe bei der
Umweltverträglichkeit setzen sollten.
Es ist eigentlich paradox, da McDonnell Douglas durch ihre militärische Sparte sehr viel Geld verdiente und spielend die Zivilsparte hätte subventionieren können. Es herrschte aber seit Jahren
(besonders in den 1970er und bis in die 1990er Jahren) durch die Geschäftsführung von McDonnell eine pragmatische Einstellung und weniger die Mentalität der „Douglas Aircraft Company“. McDonnell
musste auch einsehen, daß Verkaufsverhandlungen im militärischem Bereich ganz anders laufen, als eine Vereinbarung zwischen Hersteller und Fluglinie. Altgediente Manager von Douglas und enge
Mitarbeiter des DC-9- und MD-80-Programms sollen um Hilfe gebeten worden sein, damit sich die Situation wieder verbessere. Die schleichende Vernachlässigung der zivilen Sparte wurde erst durch
eine radikale Umkehr gestoppt, als man die MD-95 offiziell starten konnte. Das half der MD-90 aber nicht mehr. Viele Fachleute sagen, daß die DC-9 und MD-80 „Douglas-Produkte“ waren
und alleine die Einstellung der „Douglas geprägten Mitarbeiter“ und die guten Flugzeuge mit dazu verhalfen, daß diese Produkte selbst schwere Unternehmensfehler von McDonnell Douglas kompensieren
konnten. Die MD-90 (und MD-11) standen schon sehr stark unter dem Einfluss von McDonnell; die Einstellung von Douglas (oder der Division DAC Douglas Aircraft Company) zählte nicht so sehr. Es
wurden bei McDonnell Douglas viele Ideen und Konzepte gezaubert, aber die Wirklichkeit wurde zeitweise sträflich vernachlässigt und es ist mehr oder weniger der eben erwähnten Stärke der zivilen
Produkte und den loyalen Kunden zu verdanken, daß zumindest die zivile Sparte von McDonnell Douglas nicht schon viel früher ein jähes Ende gefunden hatte. McDonnell Douglas war dafür
bekannt, offene Ohren für ihre Kunden zu haben, aber im Falle der MD-11 schien der Hersteller völlig „am Markt vorbei“ gedacht zu haben.
Grundsätzlich zeigte sich das fehlende Vertrauen in McDonnell Douglas und in die MD-90 als Unikat spätestens bei der Entscheidung von Delta Air Lines, als nach Ablieferung von 16 MD-90, die Abnahme von weiteren 15 MD-90 nicht mehr stattfand, sondern ein „Exklusivvertrag“ mit Boeing für 737-800 unterzeichnet wurde. Dieser Vertrag sah vor, daß die ausstehenden Festbestellungen und (119?) Optionen für MD-90 „verrechnet“ wurden. Dieser ganze Vorgang konnte dadurch vereinfacht werden, weil Boeing der neue Eigentümer von McDonnell Douglas war...
Es ist anzunehmen, daß Delta Air Lines keine übliche, hohe Konventionalstrafe für diese „Stornierung“ zahlen musste. Delta Air Lines hatte ursprünglich geplant, mit der MD-90 einen Großteil der
727-Flotte zu ersetzen. Im Einsatz sollen sich die MD-90 bei Delta „nicht bewährt und unter den Erwartungen gelegen“ haben. Bei den bekannt gewordenen Defiziten (Probleme mit dem APU,
Softwareprobleme und fehlerhafte FADEC´s, die zu Flugausfällen führten) handelte es sich um Probleme, die kaum eine Fluglinie ernsthaft als Grund für eine Stornierung von ausstehenden
Bestellungen und Optionen nennen kann. Dann würde jede zweite Fluglinie ihre Flottenplanung überdenken müssen...
Immer wieder entstand der Eindruck, daß McDonnell Douglas die Fertigung ihrer zivilen Produkte einstellen könnte. Fluglinien waren und sind oftmals nicht gewillt in ein Flugzeug zu investieren, dessen Zukunft des Herstellers mehr als ungewiss war oder ist. Es ist außerdem eine Tatsache, daß vielen potentiellen Kunden der technische Sprung bei der MD-90 nicht weit genug ging. Die MD-90 war weiterhin konventionell und bot keine Flugzeugfamilie mit unterschiedlichen Kapazitäten. Die Verbesserungen bei der Leistungsfähigkeit gegenüber der MD-80 sind (mit Ausnahme des viel geringeren Lärmpegels) nicht wirklich im Interesse eines noch effizienteren Betriebs eingetreten. So konnte die MD-90 in ihrer Grundversion keine höhere Reichweite bieten als die MD-83 (und diverse MD-87/-88) und war somit für bestehende MD-80-Betreiber und potentielle Kunden (besonders für Chartergesellschaften) noch uninteressanter. Der geringere Treibstoffverbrauch der MD-90 wirkte sich ebenfalls nicht als schlagendes Verkaufsargument aus. Außerdem kam erschwerend hinzu, daß in der EU registrierte MD-90 nur mit einer um 5 Sitzplätze (1 Sitzreihe) reduzierten maximalen Bestuhlung, also 167 Passagieren, eingesetzt werden darf. Grund hierfür war nach Meinung der JAA, daß durch die etwas längere Kabine sich entsprechend auch die Fluchtwege vergrößern und nicht durch den größeren Abstand der Notausstiege (zwei Kabinenfenster zwischen den Notausstiegen versus 1 Fenster bei der MD-80) kompensiert werden kann. Diese Vorschrift reduzierte die Chancen bei Chartergesellschaften dramatisch, da meistens eine sehr hohe und oft auch die maximal erlaubte Konfiguration voll ausgeschöpft wird, damit die Kosten pro Sitzplatz maximal verteilt werden können. Eine weitere Änderung für „EU-MD-90“ ist auch eine Absenkung der erlaubten maximalen Reisegeschwindigkeit. Grundsätzlich darf man annehmen, daß die JAA die MD-90 nicht als Derivat der MD-80 ansah, sondern eher als neues Flugzeug und dafür andere Maßstäbe ansetzte. Die FAA sah die MD-90 mehr oder weniger als Derivat der MD-80 an und so brauchten viele Systeme nicht einer nochmaligen Überprüfung unterzogen werden. Ähnliche Probleme seitens der JAA gab es auch bei der 737NG, wo erst modifizierte Tragflächen-Notausstiege die maximal von Boeing erlaubten Passagierkapazitäten gestatteten. Die Ansichten der JAA waren und sind etwas seltsam, da zum Beispiel die 737-300 einst für die identische maximale Passagierzahl zugelassen wurde wie die 737-700, bei der es dann aber Zweifel an der Geschwindigkeit einer möglichen Evakuierung gab. Schlimmer war es noch bei der 737-800...
Es erscheint fast krampfhaft, wie sich McDonnell Douglas in den letzten Jahren ihres Bestehens als Anbieter ziviler Flugzeuge zeigte. Die MD-95 war noch (wichtige) Jahre entfernt, um in
Verbindung mit der MD-90 eine Art von „Familie“ zu bieten. Die Verzögerung hat sich technisch bei der MD-95 mehr als ausgezahlt, da dadurch ein völlig neuer Antrieb gewählt werden konnte. Das
half aber keineswegs der MD-90. Es erschien auch „seltsam“, daß McDonnell Douglas die Produktion der MD-80 nicht mit Erscheinen der MD-90 auslaufen ließ. Es ist natürlich gut
gewesen, daß „MD-80 so lange weiter gebaut werden sollten, so lange Fluglinien die MD-80 bestellen“, aber es zeigte bei späten Bestellungen für die MD-80 auch, daß die MD-90
offensichtlich nicht den großen Vorteil brachte und die MD-80 durchaus ihre Rolle erfüllen konnte. Man sollte deshalb z.B. einen der letzten Verträge mit einem Neukunden der MD-80 für fünf MD-88
+ fünf Optionen von Onur Air nicht einzig auf „äußerst günstige Konditionen“ zurückführen.
War es hier das "Versagen" der MD-90 und McDonnell Douglas? Es wurde völlig unter den Tisch gekehrt, daß es Delta Air Lines war, die McDonnell Douglas entscheidend zum Bau der MD-90 anregte und entscheidende Mitarbeit am Konzept der MD-90 hatte. Die MD-90 wurde als „ein Flugzeug für Delta konzipiert und gebaut“ und als „das Flugzeug für die Zukunft Deltas“ bezeichnet. McDonnell Douglas ging auf sehr viele Vorschläge dieser Fluggesellschaft ein, verbesserte Systeme dort, wo Delta bei ihren MD-88 Defizite sah und lobte Delta zeitgleich, daß „die MD-88 schon das zuverlässigste Flugzeug ihrer Flotte überhaupt wäre.“ Delta legte die zehn häufigsten Probleme der MD-88 dem Hersteller vor und McDonnell Douglas schaffte Abhilfe und eigentlich hätte die MD-90 somit das absolut beste Flugzeug der Flotte von Delta Air Lines sein müssen, als es den Dienst antrat. Die MD-90 sollte das leiseste Flugzeug ihrer Klasse werden und sich nahtlos in die große Flotte von MD-88 einfügen. Delta Air Lines setzt auch im Jahr 2003 noch ihre 16 MD90-30 ein. Die Fluggesellschaft plant aber die Ausmusterung dieses Flugzeugtyps, da sich der Einsatz einer so kleinen Teilflotte nicht lohnt. Der weitere Einsatz der 120 MD-88 ist geplant.
Seit dem Niedergang der zivilen Sparte von McDonnell Douglas hat sich die Szenerie völlig verändert. Wenngleich die Größe der Flugzeugbestellungen seit ein paar Jahren ungeahnte Volumina erreichen und sich daran auch oft das Interesse seitens der Medien und Hobbyisten orientiert, gibt es auch ein paar wenige kritische Beobachter, die eine gewisse Maßstabslosigkeit feststellen.Diese Feststellung ist aber insgesamt wenig verwunderlich, da es insgesamt zu starke Verschiebungen innerhalb der Wertegesellschaft gekommen ist und eine schleichende Extremisierung - Normalmaß ist nicht gefragt. Nun werden 99% entgegnen, dass die Nachfrage udn der Fortschritt zu solchen Bestellungen führen.
Die Entwicklung wird auch von den meisten Beobachtern als positive Entwicklung verzeichnet oder eben sehr weise durch gewisse Gegenmaßnahmen kompensiert - ähnlich wie in einer verrohenden Gesellschaft, die aber z.B. bei Unglücken stärker als je zuvor ein emotionalisiertes offizielles Trauerbild schaffen möchte, in dem nicht ausgesprochenenen Wissen, dass unsere Gesellschaft einen ganz anderen Blick verfolgt.