ValuJet Airlines sind ein eindrucksvolles und schmerzhaftes Beispiel für einen rasanten und bis dato einmaligen Aufstieg und darauf folgendem tiefen Fall einer Fluggesellschaft. Bei fortgesetztem Erfolg wäre ValuJet sicherlich eine treibende Kraft im US-Luftverkehr und eindrucksvoller Betreiber der Boeing 717 (und DC-9/MD-80) geworden.
Der Aufstieg und Fall der ValuJet Airlines wurde vielfach in den Medien und in der Fachpresse beschrieben und diese einzigartige Geschichte würde hier den Rahmen und meine Möglichkeiten sprengen. ValuJet nutzte das Vakuum der Eastern Airlines, die in Atlanta einen großen Knotenpunkt unterhielt ,aber 1991 ihren Flugbetrieb einstellten musste. Delta Air Lines hat bekanntlich ihre Hauptbasis in Atlanta. Delta hatte ein Monopol und so konnte diese Fluggesellschaft eine Monopol- Preispolitik betreiben. Erste Überlegungen wurden offiziell und als „Charter Way“ und Vorläufer von ValuJet wurde 1993 ein Unternehmen mit Sitz in Atlanta etabliert.
ValuJet setzten für eine recht kurze Zeit eine bescheidene MD-80-Flotte ein. Die MD-81/-83 stellten einen deutlichen Kapazitätssprung gegenüber der DC-9-32 dar.
Obwohl mehrheitlich in der Fachpresse große Verwunderung über die Standortwahl des jungen Unternehmens und Aufbau eines Streckennetzes ab Atlanta geäußert wurde, so erschien für das erfahrende Management Atlanta als ideal. ValuJet sah weniger die allmächtige Delta Air Lines als Maßstab, sondern eher die Kosten einer Autofahrt. Mitte 1993 wurde ValuJet offiziell etabliert.
Die Wahl fiel auf die Douglas DC-9-30 und die ersten für ValuJet vorgesehenen Flugzeuge waren zuvor bei Delta im Einsatz gewesen. Teil des Geschäftsmodells war es, gebrauchte Flugzeuge einzusetzen, die Eigentum sind und trotz (gegenüber moderneren Flugzeugen) höheren Kerosinverbrauchs und höherer Wartungskosten insgesamt gewinnbringender einsetzbar seien.
Die DC-9-32 wurden zuvor vom Hersteller McDonnell Douglas grundüberholt und mit jeweils 113 Sitzplätzen konfiguriert. Die guten Charakteristika der DC-9, die richtige Kapazität, Leistungsfähigkeit und ausreichend verfügbare Piloten waren für ValuJet sicherlich wichtige Faktoren gewesen. McDonnell Douglas assistierte in dieser Phase den Aufbau der Fluggesellschaft.
An Bord ihrer 113-sitzigen DC-9-32 boten ValuJet einen kostenpflichtigen Getränke- und Snackservice an.
In den meisten Bereichen sahen ValuJet enormes Einsparpotential. Neben einer sehr flachen Hierarchie und Nutzung modernster Möglichkeiten der Ticketverarbeitung (ein ticketloses Buchungssystem), sollte systemweit unter allen Umständen eine rigide Kostenkontrolle umgesetzt und gelebt werden. Neben vergleichsweise sehr niedrigen Lohnkosten (exklusive Gewinnbeteiligungen etc.) waren es besonders die Bemühungen, viele Bereiche auszulagern und viele Arbeiten günstiger durch Fremdfirmen durchführen zu lassen. Dazu gehörte auch die technische Betreuung der DC-9-Flotte. Hier wählten ValuJet eine günstigere Variante als die vom Hersteller alternativ angebotene Version eines – man darf es so bezeichnen – „total care-Programms“ für ihre DC-9-Flotte mit dann vollständig durch McDonnell Douglas umgesetzter technischer Betreuung der Flotte...
Von Anfang an sollten ValuJet Fröhlichkeit, Freundlichkeit und Einfachheit versprühen. Dies äußerte sich auch in der gewählten Form des visuellen Auftritts von ValuJet. Drei Farben sollten den Unternehmensauftritt dominieren: hellblau, gelb und weiss. Auf dem Leitwerk wurde mit der Schriftart „Willow“ der leicht an einen Comic-Titel erinnernde Schriftzug „ValuJet“ angebracht. Hauptinstrument ihres Image sollet aber eine fliegende Figur werden, die auf dem weißen Rumpf im vorderen Bereich groß angebracht wurde und den Namen „Critter“ erhielt.
Die legere Art des Auftritts setzte sich nicht nur bei der Bemalung durch, sondern auch beim Personal. Richtige Uniformen waren genauso wenig zu sichtbar wie Krawatten. Die Passagierkabinen erhielten durch die Wahl von orangefarbenen Sitzbezügen eine warme Atmosphäre, wie man dies in den 1970ern und 80er häufig erwarten durfte.
Der Bordservice sollte sich auf ein Minimum beschränken. Passagieren wurde im Grunde nur der reine Flug angeboten, Getränke und Snacks wurden nur gegen Bezahlung serviert. Vielfliegerprogramme und andere Privilegien waren ebenso nicht anzutreffen wie mögliche Anschlussflüge via Atlanta.
Obwohl jede Etablierung einer Fluggesellschaft teilweiseenorme Anlaufkosten mit sich zieht, so planten ValuJet, nach sehr kurzer Zeit ihre Investitionen wieder einfliegen zu können. Teil dieser Planung war u.a. dadurch begründet, weil ValuJet ihre ersten DC-9 nicht mietete, sondern Eigentum waren und somit derartige Kosten nicht existent waren. Unbestätigt haben ValuJet für die ersten DC-9 jeweils 500.000 US$ in cash bezahlt – ein auch für damalige Verhältnisse sehr niedriger Preis.
Die Flugtarife wurden als sehr einfach und logisch beschrieben, da diese gestaffelt waren und keine üblichen Einschränkungen aufwiesen.
Am 26.10.1993 war es soweit: ValuJet nahm mit zwei DC-9-32 ihren Flugbetrieb auf. Der erste Linienflug (Flugnummer 901) verließ Atlanta um 07:30 Uhr nach Tampa/Florida.
Der sofort eintretende Erfolg war beispiellos. Kunden konnten „endlich von günstigen und günstigsten Ticketpreisen“ profitieren.
Die Nachfrage war enorm und das vorhandene Flugprogramm konnte die Nachfrage nicht einmal im Ansatz befriedigen.
In Abständen von wenigen Wochen führten ValuJet weitere DC-9-32 ein und neue Routen ab Atlanta wurden eingerichtet sowie bestehende Frequenzen erhöht. Hierbei wurde darauf geachtet, dass ein bestimmter Markt und auch zukünftige Routen bis zu vier Flüge pro Tag rechtfertigen würden; gleichzeitig wurde auf (für Geschäftskunden abgestimmte) Abflugzeiten keine Rücksicht genommen und die Flüge nur mit dem Gesichtspunkt eingeplant, dass eine DC-9 möglichst maximal genutzt wurde.
ValuJet revolutionierte das ticketlose Buchungssystem und war die US-Fluggesellschaft mit den zweitniedrigstem Betriebskosten pro Passagier/pro Meile. Rückblickend darf man annehmen, dass es bisher keinen vergleichbaren Aufstieg eines jungen Unternehmens innerhalb einer so kurzen Zeit gab.
Diese Aufnahme hat eine gewisse Symbolik, zeigt es doch eine DC-9 der ValuJet mit Flugzeugen (darunter zwei MD-88!) der Delta Air Lines im Hintergrund.
ValuJet war hochprofitabel, flog nicht abseits der großen Flughäfen und dadurch in direkter Konkurrenz zu den etablierten Carriern. Es wurde in allen Bereichen gespart, Flugzeugbesatzungen mussten sogar ihre Uniformen selber finanzieren und Piloten wurden durch ein sehr ausgeklügeltes und einfaches System entlohnt, wobei die Piloten angeblich sogar durch finanzielle Einbußen dazu gedrängt wurden, pünktlich zu fliegen (falls diese Information stimmt, dann ist diese Praxis sicherlich nicht sicherheitsfördernd, wenn Piloten z.B. bei Winterwetter auf eine erneute Enteisung verzichten, weil ihr Flug schon Verspätung hat).
Die Wartung ihrer Flotte wurde von Fremdfirmen durchgeführt. Auslastung, Konzept und Angebot schienen für den Passagier zu stimmen, wenngleich die Fluglinie langsam aber sicher von Erfolg eingeholt wurde und es immer wieder zu Zwischenfällen im Flugbetrieb kam. Selbst ohne Zwischenfälle wuchs der Eindruck, dass ValuJet aufgrund ihres beispiellosen Erfolgs selber massiv unter Druck gerieten. Es wurde versucht, so schnell wie möglich zusätzliche DC-9 in den bestehenden Flugbetrieb zu integrieren. Gleichzeitig war die gesamte Infrastruktur der am Anfang kleinen Fluggesellschaft nicht mehr in der Lage, den stark wachsenden Flugbetrieb effizient und kompetent abzuwickeln. Die Flotte soll in dieser Phase operationell stark ausgereizt worden sein, während z.B. Mitarbeiter mit der Aufgabe, die technische Betreuung der DC-9-Flotte zu überblicken, kaum dieser Tätigkeit nachkommen konnten, da schlicht das Volumen an Dokumenten zu groß wurde.
Offiziell erschienen ValuJet weiterhin sehr erfolgreich und in der Fachpresse war sehr oft zu lesen, wie dringend ValuJet Ausschau nach weiteren DC-9 hielten. ValuJet selber haben offiziell bestätigt, dass man „sofort 40 DC-9 in cash kaufen würde, falls jemand (eine Fluggesellschaft) eine solche Anzahl an DC-9 anbieten würde“. Innerhalb von zwei Jahren baute ValuJet eine Flotte von über 30 DC-9 auf und die Airline hatte ab Mitte 1995 Probleme, ausreichend DC-9 zu erwerben.
Die enorme Nachfrage nach DC-9 wurde immer öfter ein Thema, da das weitere Wachstum von ValuJet nicht mehr so einfach bewerkstellig werden konnte und selbst der Hersteller bei der Beschaffung von DC-9 half.
ValuJet expandierte weiterhin rasant, aber die Zwischenfälle (Startabbrüche, Verspätungen, technische Unzulänglichkeiten, missratene Landungen, Notlandungen) häuften nachweislich. Die beunruhigte FAA drängte ValuJet, ihre zu starke Expansion etwas zu drosseln und weniger gebraucht erworbene Flugzeuge in Dienst zu stellen; außerdem wurde die ValuJet mehr oder weniger stärker von der FAA unter die Lupe genommen. Die Lage veränderte sich aber in dieser wichtigen Phase nicht wirklich...
Hellblau, weiss und gelb - die Unternehmensfarben und die Wahl der Schriftart in Ergänzung zum Comic-Logo erzeugten ein kindliches und positives Image.
Die Erweiterung des Flugbetriebs erschien die größte Sorge bei ValuJet zu sein. Da die Beschaffung weiterer DC-9 zunehmend problematisch wurde und das geplante Wachstum zu bremsen drohte, konnte man ValuJet nun im Zusammenhang mit einer möglichen Bestellung für Neuflugzeuge beobachten.
Im Sommer 1995 wurde ValuJet als Kunde für bis zu 50 Fokker 100 genannt, die eine ähnliche Kapazität wie die DC-9 geboten hätten. Die Fokker 100 hätte im Vergleich zur DC-9 erheblich leisere und sparsamere Triebwerke geboten.
Mitte September 1995 bezeichneten ValuJet Meldungen über eine mögliche Bestellung für 50 MD-95 als „extrem verfrüht“ und dementierte eine Zusage, falls die MD-95 gestartet werden sollte. Das Unternehmen bestätigte aber, mit „verschiedenen Herstellern Gespräche zu führen“, es aber „absolut keine Entscheidung“ geben würde.
McDonnell Douglas bestätigten dagegen, dass ValuJet „sehr interessiert“ (an der MD-95) wären. „Als bestehender DC-9-Betreiber sind ValuJet eindeutig ein Kandidat für die MD-95“, so McDonnell Douglas.
ValuJet bestätigten weiterhin nur, dass ihre Flottenoptionen weitere DC-9 und größere Flugzeuge wie die MD-80 oder Neuflugzeuge beinhalten würde.
Ende September 1995 berichtet die Fachpresse, dass Airbus Industrie kurz davor stehen würden, einen harten Kampf um eine Festbestellung für 25 Airbus A319 und Optionen für weitere 25 A319 zu gewinnen. Dieser Erfolg wurde als „major coup for Airbus" angesichts des Wettbewerbs mit McDonnell Douglas und Boeing beschrieben. Die „Verhandlungen seien in der Endphase und eine Entscheidung würde Ende September (1995) erwartet werden".
ValuJet machten aber deutlich, dass das Unternehmen nur eine Bestellung unterzeichnen würde, wenn die Konditionen des Auftrags „ausreichend attraktiv wären“. „Sollten wir den richtigen Kaufpreis erhalten, werden wir eine Bestellung tätigen; falls nicht, dann sind die beiden anderen Hersteller (Boeing und McDonnell Douglas) sehr interessiert“ – so die ValuJet.
Das geschnürte Paket wird einen Interimsplan für das kurzfristige Wachstum erhalten (müssen), da ValuJet ihre Wachstumsziele umsetzen möchte, während das Unternehmen auf die neuen Flugzeuge zur warten würde. ValuJet expandierten pro Jahr um 18 DC-9 und das Unternehmen war anfangs nicht bereit, über neue Flugzeuge zu verhandeln. Diese Ansicht änderte sich, nachdem „die Hersteller zeigen, über den Kaufpreis verhandeln zu lassen“.
Weitere DC-9 wären sicherlich die beste Lösung für ValuJet gewesen, aber mittlerweile zogen die Preise für gebrauchte DC-9 aufgrund der eigenen Nachfrage deutlich an („more scare and expensive to acquire“). Fünf zusätzliche DC-9 konnten aber erworben werden und es war geplant, dass diese DC-9 ab Januar 1996 die bestehende Flotte ergänzen sollten.
Die mögliche Auslieferung neuer Flugzeuge war auch ein sehr wichtiger Faktor für ValuJet. Die ersten Airbus A319 hätten ab April 1996 ausgeliefert werden könne, wobei aber ValuJet an einer mit IAE V2500-angetriebenen Version Interesse zeigte und so eine A319-Version erste Ende 1996 zur Verfügung gestanden hätte.
Die alternative Boeing 737-600 würde erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1998 zur Verfügung stehen, während die MD-95 (Boeing 717) nicht vor Ende 1997 zur Verfügung stehen sollte. Letztere Angabe war aber zu ambitioniert, da die Lieferung der ersten Boeing 717 tatsächlich erst fast zwei Jahre später erfolgen sollte.
Die Douglas DC-9-30 war fundamentaler Bestandteil des Unternehmenskonzepts der ValuJet: äußerst zuverlässig, robust und wirtschaftlich einsetzbar! Beim Bedarf zusätzlicher DC-9-30 assistierte McDonnell Douglas. Später entschieden sich ValuJet für die Integrierung der kleineren DC-9-21 und der deutlich größeren MD-80.
In der ersten Hälfte von Oktober 1995 fanden laut verschiedener Fachartikel hartnäckige Verhandlungen mit Airbus, Boeing und McDonnell Douglas statt. Diese neuen Verhandlungen ergaben sich nach offizieller Darstellung nur, nachdem mit Airbus keine Einigung für eine Bestellung getroffen werden konnte. Ursprünglich sollten die Verhandlungen mit Airbus im Oktober 1995 abgeschlossen werden. Haupthürde sollen fehlende Garantien für den „break even load factor“ der A319 gewesen sein.
ValuJet zogen hierbei als Berechnungsgrundlage ihre 113-sitzigen DC-9-32 heran, die mit nur 50 Passagieren den break even erreichen würde – dies entspräche 45% Auslastung.
ValuJet war sehr darauf bedacht, dass dieser Wert bei der A319 „nicht nach oben wuchern würde“ – die typische Kapazität in einer Kabinenklasse wurde mit 134 angegeben.
ValuJet bestätigte, dass man sich noch nach „die Wirtschaftlichkeit anschauen würde“ und wieder „mit allen drei Herstellern sprechen würde“.
„Airbus hätte den Deal noch nicht und die anderen Hersteller sehen hier die Möglichkeit, wieder einzusteigen“.
Keiner der fraglichen Hersteller war zu einem offiziellen Kommentar bereit. Es wurde aber vermutet, dass weiterhin die Airbus A319 die favorisierte Option für ValuJet sei, obwohl McDonnell Douglas ihr neuestes Angebot (für die MD-95) durch eine Offerte für MD-87 als Interimslösung bis zur Lieferung von MD-95 versüßen würde.
ValuJet haben vor der offiziellen Bekanntgabe von Verhandlungen mit den Herstellern die Möglichkeit erwogen, MD-80 für weiteres Wachstum einzuführen, sollte die „Zufuhr von DC-9-30“ abebben.
Dies sei „weiterhin eine Option, falls die Verhandlungen scheitern sollten“.
Am 19. Oktober 1995 gaben ValuJet und McDonnell Douglas gemeinsam bekannt, dass das Unternehmen als Erstkunde eine Festbestellung für 50 MD-95-30 unterzeichnet hätten und Optionen für weitere 50 vereinbart wurden. Der Auftragswert wurde mit 1 Milliarde US $ angegeben. Die MD-95 sollte bei ValuJet jeweils 129 Passagieren Platz bieten und die weitere Expansion ermöglichen und gleichzeitig den Ersatz der DC-9-Flotte ermöglichen.
Die Entscheidung zugunsten der MD-95 war das Ergebnis eines erbitterten Wettbewerbs um einen Auftrag für einen „100-Sitzer“ und den alternativen Angeboten Airbus A319, Boeing 737-600 sowie Fokker 100.
Zeitweise seien Airbus Industrie der einzige Verhandlungspartner gewesen; die Verhandlungen wurden aber wieder eröffnet, nachdem das europäische Konsortium keine Garantie über den „break even load factor“ der Airbus A319 geben konnte.
„Nach einer Analyse, die viele Faktoren berücksichtigte, erscheint die MD-95 als das richtige Flugzeug für ValuJet“, so der ValuJet-Präsident Lewis Jordan.
Die Tatsache, dass ValuJet die MD-95 zu einem Stückpreis von (nur) 20 Millionen US $ erhalten würde, sei ein „überzeugender Faktor“.
Die erste MD-95 sollte nicht vor Juni 1999 erhältlich sein. Darum würden ValuJet in der Zwischenzeit weitere gebrauchte DC-9 und MD-80 erwerben. Zeitgleich mit der offiziellen Bestellung zugunsten der MD-95 wurde bekannt, dass ValuJet fünf zusätzliche DC-9 und drei MD-80 übernommen. Weitere „MDC-Flugzeuge würden weltweit gesucht werden“.
--> Zum Hauptartikel: "Die ehemalige MD-80-Flotte von ValuJet Airlines"
Die Entscheidung zugunsten der MD-80 war das Resultat verschiedener Erwägungen. ValuJet benötigte aufgrund weiterhin sehr starker Nachfrage zusätzliche Kapazitäten, während der kauf von weiteren DC-9-30 sehr schwierig wurde. Gleichzeitig konnte man in New York-La Guardia begehrte Slots sichern und hier bot es sich an, mit der deutlich größeren 167-sitzigen MD-80 ausreichend Kapazitäten pro Flug zu bieten. Der Mangel an DC-9-30 zeigte sich auch in der Entscheidung, vier DC-9-21 von SAS zu erwerben. Diese „kurzen“ DC-9 sollten mit 89 Sitzplätzen eingesetzt werden und dringend notwendige Zusatzkapazitäten bieten. Zum Zeitpunkt der MD-95-Bestellung setzten ValuJet 36 DC-9-32 ein.
Da die Olympischen Spiele in Atlanta anstanden, planten ValuJet den Einsatz von mindestens 7 oder gar 8 MD-80. Die MD-80 sollten von der Swissair, Adria Airways und Aero Lloyd übernommen werden.
Es bestehen Indizien, dass ValuJet vor ihrer Entscheidung zugunsten von MD-80 ein Angebot für fünf (fabrikneue) MD-90 ablehnte. Als Hauptgrund wurde genannt, dass die MD-80 günstiger zu finanzieren wären.
Ab Februar 1996 kamen die ersten von vier MD-80 zum Einsatz, primär auf Routen ab Atlanta nach Washington-Dulles, New York La Guardia und Louisville (Kentucky). Die Crewbasis für die MD-80 war in Washington-Dulles. ValuJet plante den Aufbau einer respektablen MD-80-Flotte und diese sollten sehr wahrscheinlich auch nach Auslieferung der MD-95 betrieben werden. Es gab Gerüchte, daß ValuJet mit der MD-80 eine Expansion in den westlichen Teil der USA erwog - hier wurden Las Vegas und Little Rock als Ziele genannt. Bis zur Auslieferung der MD-95 würde McDonnell Douglas bei der Suche nach gebrauchten DC-9 und MD-80 mithelfen. Mit der DC-9-21 wurden übrigens neue Strecken erfolgreich etabliert - hauptsächlich ab Boston und Washington zu Zielen in Florida.
Es kann nur spekuliert werden, die wirtschaftlich die 164-sitzige MD-80 für ValuJet war, wenn man sich vergegenwärtigt, wie profitabel der Einsatz der deutlich kleineren DC-9 war!
Im Januar 1996 ordnete die FAA ein deutlich reduziertes Wachstum an. Die US-Luftfahrtbehörde zweifelte daran, dass ValuJet in der Lage wären, die Flugsicherheit bei weiterhin so rasantem Wachstum zu gewährleisten. Ende Februar 1996 ordnete ein internes Papier an, dass ValuJet nur mit Zustimmung der FAA ihre Flotte und/oder ihr Streckennetz erweitern dürfte.
Zu diesem Zeitpunkt war diese Beschränkung nicht offiziell bekannt. Das etwas gebremste Wachstum wurde von ValuJet offiziell mit der Notwendigkeit begründet, dass man einige „raue Kanten glätten müsste“ und „den Flugbetrieb sowie die Wartung aufwerten wolle“.
ValuJet hatten ursprünglich vor, im Jahr 1996 18 bis 24 zusätzliche DC-9 zu integrieren. Dieser Plan wurde seitens der FAA auf 14 DC-9 gebremst. Selbst mit dieser Einschränkung hätten ValuJet ab Dezember 1996 54 DC-9/MD-80 im Portfolio gehabt.
Ende April 1996 wurden diese Einschränkungen dann doch publik. Die Öffentlichkeit wurde darüber informiert, dass ValuJet im Jahr 1996 maximal 13 bis 14 DC-9 einflotten dürften und nicht wie geplant 18 bis 24. Bekannt wurde auch, dass die FAA Ende Februar 1996 ein siebentätiges „special emphasis“-Programm umsetzte und bis Ende Juni 1996 eine erhöhte Wachsamkeit über die Abläufe bei ValuJet beschloss.
Die verstärkte Sicherheitsüberprüfung erfolge aufgrund von fünf Zwischenfällen im Januar und Februar 1996 (dreimal gerieten DC-9 nach einer Landung über die Piste, einmal kollabierte das Hauptfahrwerk bei einer weiteren DC-9 und ein Flugzeug erlitt einen tail-strike (Berührung des Hecks mit der Piste). ValuJet wurde erlaubt, neue Routen ab 1. Mai 1996 einzurichten, würde aber keine weiteren neuen Strecken bis August 1996 eröffnen. Zum 1. Mai 1996 sollte die Flotte aus 48 DC-9/MD-80 bestehen.
Ende April/Anfang Mai 1996 wird bekannt, dass ValuJet weitere vier MD-80 erworben hätten – allesamt von Swissair. Zeitgleich wurde bekannt, dass man plane, die vier DC-9-21 entweder zu verkaufen oder zu vermieten.
Mit ihren 113-sitzigen Douglas DC-9 erzielte ValuJet Kostenstrukturen, die sämtliche andere US-Gesellschaften in den Schatten stellten. Mit nur 45 verkauften Sitzplätzen wurde die Kostendeckung erzielt!
Am 11.05.1996 fing eine ihrer DC-9-32 kurz nach dem Start in Miami zum Linienflug 592 nach Atlanta aufgrund von explodierten, nicht ordnungsgemäß gesicherten Sauerstoffgeneratoren im vorderem Frachtraum Feuer und die DC-9 stürzte in die Everglades. 110 Passagiere und Besatzungsmitglieder starben.
Dieser Absturz sollte die gesamte Airline-Branche in den USA erschüttern und ValuJet hatte sich den Vorwürfen zu stellen, schlicht und einfach schlampig im Flugbetrieb gewesen zu sein. In den Medien wurde (wie immer) spekuliert, daß das Alter der DC-9 eine Rolle spielte. Auf die Auswertung des Flugschreibers wurde nicht gewartet, Spekulationen machten die Runde. ValuJet stellte wenige Wochen nach diesem Absturz freiwillig ihren Flugbetrieb ein, um einer Stilllegung seitens der FAA zuvor zukommen. Dieser Schachzug würde es ValuJet ermöglichen, ihren Flugbetrieb mit ihrer Lizenz wieder aufzunehmen, sobald alle Anforderungen und Kontrollen der FAA erfolgreich erfüllt seien. Die Untersuchungen deckten unglaubliche Defizite auf und ValuJet schien unbemerkt von ihren Passagieren völlig überfordert gewesen zu sein. Einige Flugzeuge wurden nicht gewartet, während z.B. eine Schwestermaschine "viel zu oft" gecheckt wurde! ValuJet litt an Unterkapazitäten.
Es mangelte an Personal und die rasante Expansion wirkte sich natürlich auf die internen Probleme deutlich negativ aus. Jedes Flugzeug wurde von der FAA neu zertifiziert und gründlichen Untersuchungen unterzogen. ValuJet konnte später als geplant - Ende September 1996 - einen stark eingeschränkten Flugbetrieb mit einer reduzierten DC-9-32 Flotte wieder aufnehmen. Alle bis dato ausgelieferten MD-80 wurden nicht wieder in Dienst gestellt, ebenso wurden die vier DC-9-21 verkauft. ValuJet wurde einer noch nie da gewesenen Kontrolle seitens der Behörden unterzogen, alles neu zertifiziert und viele Experten bezeichneten die "neue" ValuJet als sicherste Fluglinie. ValuJet konnte aber das Vertrauen der Kundschaft nicht mehr gewinnen und nach dem Zusammenschluss mit der AirTran kommen die von ValuJet bestellten MD-95 jetzt bei der AirTran mit der neuen Typenbezeichnung Boeing 717-200 sehr erfolgreich zum Einsatz.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Airbus bei der ValuJet-Ausschreibung ihren Airbus A319 ins Rennen schickte. Mittlerweile entwickelt Airbus eine noch weiter geschrumpfte Version mit der Typenbezeichnung A318.
In ihrer recht kurzen Existenz bauten ValuJet eine auch visuell prominente Stellung auf ihrem Heimatflughafen Atlanta auf. Das markante Farbkleid von ValuJet vermittelte exakt die Wirkung beim Publikum, die erzielt werden sollte: familienfreundlich, fröhlich, etwas verspielt.
Die rasante Entwicklung von ValuJet spiegelte die außerordentlich starke Resonanz durch Kunden wider. Die Popularität von ValuJet bestätigte die Geschäftsleitung und ihre Mitarbeiter, dass das angebotene Produkt auf sehr viel Anklang stieß.
"Critter" (auf deutsch "Viech") war das verspielte Comic-Logo von ValuJet. Es sollte in einem Wettbewerb mit Kunden einen neuen Namen erhalten, aber bis zum Ende behielt dieses Logo ihren Namen.