Zurück zur Ebene "Unglücke"
Am 20. August 2008 verunglückte eine McDonnell Douglas MD-82 der Spanair Momente nach dem Abheben vom Flughafen Madrid. Von den 172 Insassen kamen 154 Personen ums Leben. Dieses Unglück sollte als eines der schlimmsten Unfälle mit einer MD-80 eingehen und war das erste schwere Unglück in der 20-jährigen Geschichte der Spanair. Die Flugunfalluntersuchung ermittelte, dass das Flugzeug nicht korrekt für den Startlauf konfiguriert war und aerodynamisch nicht in der Lage sein konnte, einen normalen Steigflug umzusetzen.
Beim betroffenen Flugzeug handelte es sich um eine MD-82, die Mitte November 1993 fabrikneu an die Korean Air ausgeliefert wurde und dort die Registrierungen HL7204/HL7548 trug. Im Juli 1999 übernahmen Spanair dieses Flugzeug und diese MD-82 erhielt die Registration EC-HFP und war auf den Namen „Sunbreeze“ getauft. Zum Zeitpunkt des Unglücks trug dieses Flugzeug eine „Star Alliance“-Bemalung, die somit stark vom Standardauftritt der Spanair abwich.
An diesem Tag sollte dieses Flugzeug u.a. den Linienkurs JK5022 von Madrid nach Gran Canaria durchführen. Für diesen Flug waren 162 Fluggäste gebucht, zusätzlich vier außer Dienst befindliche Besatzungsmitglieder. Zusammen mit den beiden Piloten und vier Flugbegleitern befanden sich somit 172 Personen an Bord. Flug JK5022 wurde im Codesharing mit Lufthansa angeboten und trug deshalb auch parallel die Flugnummer LH2554.
Der Abflug verzögerte sich aufgrund eines zuvor abgebrochenen Startlaufs, nachdem ein Sensor „sehr hohe Temperaturen in einem Lufteinlauf“ meldete. Das Flugzeug rollte wieder zum Terminalbereich zurück und der fehlerhafte Sensor wurde durch Wartungspersonal deaktiviert – eine „normale Prozedur, da dieser Sensor redundant vorhanden ist“. Die Reparatur und neuerlichen Startvorbereitungen verzögerten den zweiten und dann fatalen Startlauf um rund 60 Minuten. Sicherlich war die Mehrheit der Fluggäste zumindest erleichtert, dass nach dieser Verspätung das Flugzeug sich wieder zur Startbahn bewegte und alle Vorbereitungen für den Abflug nach Gran Canaria routiniert abgeschlossen waren. Die MD-82 reihte sich hier vor und hinter anderen abflugbereiten Flugzeugen ein, konnte sich dann auf der Startbahn 36L positionieren und erhielt dann ihre Startfreigabe.
Die ersten Sekunden des Startlaufs erschienen völlig normal und das recht schwere Flugzeug (hohe Auslastung, viel Gepäck) beschleunigte bei sommerlichem Wetter. Momente nach dem Abheben kippte die MD-82 nach rechts, hatte wiederholt Bodenberührung mit dem Untergrund neben der Startbahn und stürzte dann in eine Senke am Flughafen. Dabei wurde das Flugzeug zuerst in mindestens zwei Teile zerrissen, Bruchteile später bis auf einige größere Strukturteile völlig zerstört oder durch eine dann aufgetretene große Explosion ein Raub der Flammen. Es war 14:25 Uhr Ortszeit.
Rettungskräfte waren schnell vor Ort. Für 146 Personen kam aber jede Hilfe zu spät. Diese starben beim Aufprall sofort, darunter die gesamte Cockpit- und Kabinenbesatzung. 26 Personen konnten lebend geborgen werden und wurden in die umliegenden Krankenhäuser transportiert. Sechs dieser Personen starben auf dem Weg in die Kliniken und zwei weitere während ihrer Aufenthalte im Hospital.
Persönlich erhielt ich über E-Mails von zwei spanischen Spottern erste Meldungen über Probleme mit einem Spanair-Flug. Die ersten Zeilen enthielten Informationen über einen „Startunfall in Madrid“, „Startabbruch ohne weitere Personenopfer“ und involviert sei „sehr wahrscheinlich eine MD-80 der Spanair“. Minuten später trudelten weitere Informationen ein, die von Opfern sprachen und von einem schlimmeren Zwischenfall.
Nachrichtensender unterbrachen ihre laufenden Programme durch erste Eilmeldungen und berichteten über ein Flugzeugunglück in Madrid. Die Meldungen über Opferzahlen stiegen in den Stunden nach dem Unglück und es klärte sich das Bild zusehends.
Die Fluggesellschaft Spanair reagierte mit einer Sonderseite beim Laden ihres Internetauftritts sehr schnell auf den Absturz. Das Unternehmen informierte über das Unglück von Flug JK5022 mit offiziellen Pressemitteilungen und richtete Telefonnummern für Angehörige ein. Die damals im Umbruch befindliche Luftverkehrsgesellschaft sah sich sehr schnell großen Vorwürfen ausgesetzt, die sich größtenteils jeder Grundlage entbehrten und zur Klärung möglicher negativer Kritikpunkte nicht beitragen konnten.
Die Untersuchungen gestalteten sich in der ersten Phase als sehr schwierig, da sehr viele Spekulationen kursierten und auch Augenzeugenberichte, die sich später als nicht richtig erwiesen. So wurde von Triebwerksproblemen berichtet, einem Triebwerksbrand beim Startlauf, fälschlich aktivierter Schubumkehr. Zusätzlich sah sich Spanair einer Flut von Anfragen und zunehmend auch sehr heftigen Vorwürfen ausgesetzt. Falschmeldungen machten die Runde. So informierten renommierte Nachrichtensendungen mit falschen Informationen über die betroffene MD-80, verzerrten Darstellungen der Spanair durch Heranziehen von vorherigen Ereignissen, die absolut nicht vergleichbar mit dem Ende von Flug JK5022 waren. In dieser Phase wurde ich von einem Journalisten einer bekannten deutschen Wochenzeitung kontaktiert.
An dieser Stelle stark verkürzt teilte ich dem Gesprächspartner mit, dass die Ergebnisse der Flugunfalluntersuchung abgewartet werden sollten und die Spekulationen kontraproduktiv seien. Meinerseits verwies ich auf die nicht richtigen Informationen in den Medien, dass die besagte MD-80 schon seit 1980 bei Spanair im Einsatz stehen würde und nicht korrekt in Zusammenhang gebrachte interne Umstrukturierungen bei Spanair den Fokus vermissen lassen. Auch verwies ich auf die bisherige Einsatzhistorie der MD-80-Serie mit ihrer äußerst hohen Einsatzzuverlässigkeit seit 1980. Weitere Äußerungen wären fehl am Platze gewesen.
Im weiteren Verlauf der Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass die MD-82 bis zum Zeitpunkt des Aufschlags technisch keinen relevanten Defekt aufwies, der zu so einem Unglück hätte führen können.
Anfang Oktober 2008 wurde eine erste offizielle Mitteilung der Flugunfalluntersuchung veröffentlicht. Es wurde aufgrund der Untersuchungen des FDR und CVR bekannt, dass die MD-82 ohne ausgefahrene Landeklappen und Vorflügel ihren Startlauf begann und Audiowarnungen dieser nicht korrekten Klappenstellung nicht ertönte.
Mitte August 2009 wurde ein Interimsreport veröffentlicht, der diese Feststellung bestätigte. Bestätigt schien zu sein, dass die MD-82 abstürzte, weil die Besatzung den Startlauf ohne jegliche Auftriebshilfen umsetzen wollte. Auch wurde bestätigt, dass die „After Start checklist“ nicht korrekt umgesetzt wurde und "set and check the flap/slat lever and lights" (Setzen der Landeklappen und Vorflügel und Überprüfung der Stellung und Hinweislichter (am Instrumentenpanel)) übergangen wurde.
Bei einem weiteren Check vor dem Start hat dann der Co-Pilot zwar die für den Start notwendigen Klappenstellungen der Flaps und Slats mündlich bestätigt, ohne aber tatsächlich zu kontrollieren, ob diese Klappenstellungen auch angezeigt wurden. Hier wurde eine „Standardphrase“ gesprochen, ohne den Zweck der Kontrolle zu erfüllen.
Zu guter Letzt versagte das „Take-off warning system“ (TOWS). Dieses audiovisuelle System hätte beim Hochfahren der Triebwerke der Cockpitbesatzung deutlich mitgeteilt, dass das Flugzeug nicht korrekt für den Start konfiguriert sei.
Über die Ursache dieses technischen Versagens des System ergaben sich zahlreiche Spekulationen, die sogar Hinweise aufzeigten, dass möglicherweise „malware“ das zentrale Computersystem der Wartung von Spanair infiziert war und die technische Kontrolle des betroffenen Flugzeug somit nicht ordnungsgemäß umgesetzt werden konnte bzw. Falschmeldungen angezeigt wurden. Gerichtlich wurde Spanair aufgefordert, sämtliche Computerdaten des betroffenen Flugzeugs vor und nach dem Absturz zur Verfügung zu stellen.
Der finale Untersuchungsbericht sollte im Dezember 2010 veröffentlicht werden, aber bis Mitte 2011 war dieser bericht noch nicht verfügbar.
Spanair befanden sich schon vor dem Unglück in einer kritischen Phase der Umstrukturierung und Anpassung an stark veränderte Marktbedingungen. Zusätzlich sollte die MD-80-Flotte weiter reduziert und mittelfristig durch Lieferung von weiteren Airbussen ersetzt werden. Vor dem Unglück ergaben sich Flugplanreduzierungen durch Flottenanpassungen und auch Entlassungen. So sollte im verlaufe des Jahres 2008 eine weitere Anpassung umgesetzt werden. Gleichzeitig war es das Ziel von Spanair, weiterhin ihr Produkt anzubieten.
Der Absturz hatte weitreichende Folgen für Spanair. In den Folgewochen brachen mehrheitlichen Berichten nach die Passagierzahlen und Buchungen ein. Mitte September 2008 wurde die AeBal (im Auftrag für Spanair unterwegs) abrupt eingestellt und die gesamte Boeing 717-Flotte abgestellt. Fortgeführt wurde nur der unternehmenseigene Boeing 717-Flugbetrieb mit vier Flugzeugen, die als Spanair Link ihre Dienste offerierten. Spanair passten ihren Flugbetrieb der gesunkenen Nachfrage an und reduzierten ihre MD-80 deutlich und beschleunigt. Teilbestätigte Meldungen berichteten über den Versuch, dass man wieder verstärkt mit MD-80 Charterdienste anbieten wolle, aber keine ausreichenden Kontrakte gesichert und die Flotte weiter reduziert werden musste. Auch wurde der Markenauftritt von Spanair verändert und die Schwingen, die Sonnenstrahlen und Wasserwellen symbolisieren sollten, sollten fortan Vergangenheit sein.