Zurück zur Ebene "Unglücke"

American Airlines AA1420

MD-82/Courtesy: MD-80.com
MD-82/Courtesy: MD-80.com

Am späten Abend des 01. Juni 1999 ereignete sich ein schweres Flugzeugunglück mit einer McDonnell Douglas MD-82 der American Airlines in Little Rock/Arkansas. Elf der 145 Insassen kamen ums Leben. Das Flugzeugunglück warf sehr viele Fragen auf - auch und gerade aufgrund einer Verkettung von verschiedenen Faktoren, die erst zum Unfall führten.

Das Flugzeug

--> Zum Hauptartikel "McDonnell Douglas MD-82"

Bei dem verunglückten Flugzeug handelte es sich um die McDonnell Douglas MD-82 mit der Registration N215AA. Ausgeliefert wurde dieses Exemplar am 01. August 1983 und war seitdem ausschließlich bei American Airlines im Einsatz. Zum Zeitpunkt des Unglücks war diese MD-82 für maximal 139 Passagiere ausgelegt, aufgeteilt in eine First Class für 14 Gäste und 125 Passagiere in der Coach (Economy Class). Im Zuge von Überholungsarbeiten erhielt diese MD-82 im Zusammenhang eines systemweiten Umrüstungsprogramms nachträglich den neuen Heckkonus. Da American Airlines der wichtigste und größte Nutzer der MD-80 sind, erwarb diese Gesellschaft seit der Indienststellung ab 1983 eine sehr hohe Betriebserfahrung mit diesem Modell.

Postkarte mit einer MD-80 der American Airlines/Courtesy: American Airlines
Postkarte mit einer MD-80 der American Airlines/Courtesy: American Airlines

Abendliche Verspätungen durch schlechtes Wetter

American Airlines Flug 1420 war ein abendlicher Liniendienst von Dallas-Fort Worth/Texas nach Little Rock/Arkansas. An diesem Abend ergaben sich durch schlechte Wetterbedingungen Verzögerungen auf dem wichtigsten Drehkreuz von American Airlines. Dies betraf auch Flug 1420. Ursprünglich sollte dieser Linienkurs um 20:28 Uhr beginnen, wurde dann aber auf 21:00 Uhr verschoben. Das eigentlich vorgesehene Flugzeug konnte aufgrund einer Verspätung nicht für den Linienkurs 1420 eingeplant werden und so wurde kurzfristig die MD-82 N215AA für diesen Flug zur Verfügung gestellt. Der Abflug sollte sich aber aufgrund der schlechten Wetterbedingungen auf 22:40 Uhr verzögern – 2 Stunden und 12 Minuten hinter der eigentlichen Abflugzeit. Die Cockpitbesatzung wurde vor ihrem Abflug nach Little Rock über die schlechte Wetterlage am Zielflughafen informiert. Sechs Crewmitglieder waren für diesen Flug eingeteilt: die beiden Piloten und vier Flugbegleiter.

Volle Auslastung

Die Buchungssituation zeigte eine volle Auslastung: 139 Fluggäste - insgesamt befanden sich somit 145 Personen an Bord. Durch die erhebliche Verspätung ergab sich sicherlich die Hoffnung vieler Passagiere, möglichst bald abzufliegen und kurz vor Mitternacht in Little Rock einzutreffen.

 

Das Flugzeug wurde normal abgefertigt und erhielt kurz vor 23:00 Uhr eine Meldung über eine weiter verschlechternde Wettersituation in Little Rock. Um 23:04 Uhr wurde eine SIGMET-Meldung (significant meteorological information) verbreitet, die u.a. vor schweren Gewittern im Bereich Little Rock warnte. Dieser Kurzstreckenflug war aufgrund der Wetterlage unruhig und Besatzung wie Fluggäste konnten beim Blick aus den Fenstern Blitze sehen.

Dieses Foto zeigt das damals verwendete Kabinendesign von American Airlines aus den 1980/90ern an Bord einer MD-80/Courtesy: American Airlines?
Dieses Foto zeigt das damals verwendete Kabinendesign von American Airlines aus den 1980/90ern an Bord einer MD-80/Courtesy: American Airlines?

Unterdessen bereitete die Cockpitbesatzung ihren Sinkflug auf Little Rock vor, der ab 23:27 Uhr mit einer Freigabe auf 10.000 Fuß begann. In der Kabine wurde ein zügiger und verkürzter Bordservice durchgeführt und die Flugbegleiter präparierten durch die bekannte Wettersituation zeitlich verfrüht die Kabine für die geplante Landung in Little Rock.

 

Zeitweise wurde das Flugzeug durch ruppige Luftmassen durchgeschüttelt und Passagiere sagten später aus, dass sich die Triebwerksleistung immer wieder veränderte und zu spüren war, dass zeitweise starker Regen/Hagelkörner auf das Flugzeug trafen.

Unruhiger Anflug

Die Besatzung erwartete einen ILS-Anflug auf die Piste 22L, während der Towerlotse die Besatzung vor der aktuellen Entwicklung von Gewitterzellen im Umfeld des Flughafens warnte und auch Windmeldungen durchgab. Gewitterzellen bewegten sich in Richtung des Flughafens und für die Besatzung wurde es ein „Rennen“ mit dem Ziel, dass ihr Flugzeug vor Eintreffen der Zellen in Little Rock gelandet sein sollte. Es wurde nicht über die Möglichkeit einer Ausweichlandung oder Rückkehr nach Dallas gedacht. Um 23:39 erhielt die Besatzung eine Warnung über Schwerwinde. In den nächsten Minuten ergaben sich Diskussionen zwischen den Piloten über die Wetterlage und über die Sichtung des Flughafens Little Rock zwischen den Wolken. Ein visueller Anflug auf die Piste 4R wurde eingeleitet, aber aufgrund der sich rapide verschlechternden Sicht ein ILS-Anflug auf diese Piste begonnen. In dieser Phase äußerte der Kapitän, dass man „direkt da rein fliegen würde“ und gemeint war eine Zelle, die sich mit sehr heftigen Regen auf dem Flughafen Little Rock bemerkbar machte. Die MD-82 taumelte instabil und dadurch sehr unruhig der Piste 4R entgegen. Zu keinem Zeitpunkt wurde ein unabhängig davon stabilisierter Anflug und Endanflug eingeleitet. Weiterhin kam es zu heftigen Böen und eine zweite Warnung vor Scherwinden erreichte die Besatzung. Gewarnt wurde vor Winden von 32 Knoten, in Böen 45 Knoten aus 310 bis 350 Grad. Diese Warnung veranlasste die Besatzung, ihre Anfluggeschwindigkeit um 20 Knoten zu erhöhen, um einen möglichen Geschwindigkeitsverlust durch Scherwinde oder gar eines Microburst besser zu begegnen.

 

Sehr spät wurden im Endanflug die Landeklappen auf 40 Grad ausgefahren, eine Maßnahme, die viel früher einen stabileren Anflug ermöglicht hätte. Kurz vor der Landung schien die Besatzung ihre Orientierung zu verlieren, während die MD-82 starke Sinkraten verkraften musste.

Die Landung

Um 23:50:20 Uhr setzte das Flugzeug auf der Piste auf, doch nur vier Sekunden später äußerte der Kopilot gegenüber dem Kapitän, dass „man rutschen würde“. Sieben Sekunden nach der Landung war die Schubumkehr voll ausgefahren, wurde dann aber in einen ungesicherten Modus gefahren (weder eingefahren, noch voll ausgefahren). Die Luftbremsen (Spoiler) klappten nicht auf.

Die Fahrwerksbremsen wurden aktiviert und verschieden stark betätigt, während die Schubumkehr abermals hochgefahren wurde. Das Flugzeug schlingerte auf der Piste entlang, wobei aber die Geschwindigkeit nur sehr langsam abnahm. Gleichzeitig bewegte sich die MD-80 weiterhin mehr oder weniger unkontrolliert wirkend auf der Piste und die Besatzung versuchte mit einseitiger Schubumkehr und dosierter Nutzung der Fahrwerksbremsen eine Stabilisierung zu erzielen. Spätere Untersuchungen ergaben, dass bis zum Ende dieser Versuche die linke Schubumkehr ausgefahren blieb, während die rechte Schubumkehr geschlossen blieb. Das Flugzeug schoss über die Piste und kollidierte mit der Anflugbefeuerung und Navigationsantennen. Bei dieser Kollision zerlegte sich die MD-82 strukturell. Der Flugkapitän und zehn Fluggäste starben, ein Großteil der Überlebenden erlitt zum Teil schwere Verletzungen. 

Die ehemalige Vorderrumpf der MD-82/Courtesy: NTSB
Die ehemalige Vorderrumpf der MD-82/Courtesy: NTSB

In einigen Bereichen des Wracks brach ein Feuer aus. Rettungskräfte waren sehr schnell vor Ort. Die schwere Zerstörung der Kabine führte in Verbindung mit zahlreichen Verletzten zu chaotischen Bedingungen bei der Evakuierung. Die erfahrene Kabinenbesatzung versuchte eine schnelle Evakuierung umzusetzen, wobei diese einigen Berichten nach zusätzlich durch unpassendes Verhalten von Fluggästen erheblich erschwert wurde. Einige Quellen berichten gar von Aussagen einer Flugbegleiterin, dass Fluggäste ihr Handgepäck noch mitnahmen und Kleinkinder von älteren Fluggästen ohne Rücksicht "zerdrückt" wurden. Viele Gäste konnten durch die Löcher am Rumpf fliehen, die meisten Notausgänge waren sowieso nicht mehr nutzbar. Fotografien zeigen sehr eindrucksvoll, mit welcher Gewalt die Flugzeugstruktur zerstört wurde:

Dieser Landeunfall warf sehr schnell viele Fragen auf:

  • es betraf eine sehr große und renommierte sowie professionelle Fluggesellschaft
  • betroffen war die MD-80, die sich in den Einsatzjahren einen industrieweit hervorragenden Ruf erwarb
  • der verstorbene Kapitän war MD-80-Flottenchef
  • die Wettercharakteristika in dieser Region waren der Besatzung vertraut und auch das Verhalten

Ursachen

Als Unglücksursachen wurden u.a. folgende Gründe ermittelt:

  • trotz der widrigen Wetterbedingungen ein Anflug auf Little Rock umgesetzt
  • die Spoiler wurden nicht entriegelt, so dass diese sich nach dem Aufsetzen automatisch nicht aufstellten
  • die Cockpitbesatzung war sehr wahrscheinlich durch ihre lange Dienstzeit von nahezu 14 Stunden an diesem Tag ermüdet/erschöpft und der erwartete Feierabend wäre nach dieser Landung gewesen
  • es wurden die von American Airlines vorgeschriebenen maximalen Seitenwindkomponenten nicht beachtet
  • eine nicht optimale Nutzung der Schubumkehr
Das Leitwerk der havarierten MD-82/Courtesy: NTSB?
Das Leitwerk der havarierten MD-82/Courtesy: NTSB?

Das korrekte Entsichern der Luftbremsen hätte dazu geführt, dass sich nach dem Aufsetzen die Spoiler aufgerichtet und den Auftrieb auf den Tragflächen vernichtet hätten. Das Gewicht des Flugzeugs wäre stärker auf das Fahrwerk verlagert und die Bremswirkung erheblich effektiver gewesen. Eine korrekte Verwendung der Schubumkehr hätte sehr wahrscheinlich in Kombination mit den Fahrwerksbremsen und Spoilern dazu geführt, dass die MD-82 nicht über das Pistenende hinaus geschossen wäre.

Folgen

Das Unglück führte zu Diskussionen über Dienstzeitenregelungen und Diskrepanzen. Auch wurde der Effekt von Erschöpfung und Übermüdung von Besatzungen stärker beleuchtet. Auch wurde festgestellt, dass es "normal" erschien, dass der Flugbetrieb unter solchen Wetterbedingungen fortgeführt wurde. 

 

Wichtig erscheint, dass allgemein bei diesem Unglück von "Pilotenfehler" gesprochen wird. Es ist meiner Laienmeinung nach sinnvoll, gleichzeitig die Ursachen dieser "Fehler" zu untersuchen und möglicherweise Systemfehler im Betrieb zu beseitigen. Das Ende von Flug 1420 war das Ergebnis einer Verkettung von Unzulänglichkeiten und es war nicht im Interesse des verstorbenen Kapitäns, dass dieser Flug so endete.

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